Schiefe Zähne

Ariane Müller

7 rue des Grands Augustins

March 4 – April 14, 2023

7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
Photography: Julian Blum

Photography: Julian Blum

7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
Ariane Müller, 7 rue de Grand Augustins 1, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Müller, 7 rue de Grand Augustins 1, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 2, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 2, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 3, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 3, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 4, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 4, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 5, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 5, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller
Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 6, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 6, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 7, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 7, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 8, 2023acrylic and paper on canvas, artist made frame100 x 65 cm

Ariane Mueller, 7 rue de Grand Augustins 8, 2023
acrylic and paper on canvas, artist made frame
100 × 65 cm

7 rue des Grands Augustins by Ariane Müller

7 rue des Grands Augustins ist die Adresse des Hauses in dem Guernica gemalt wurde. Guernica gilt als ein – eventuell als das Bild, das die Wirksamkeit von Kunst als Statement gegen den Krieg auslotet, als historisches Epistem, das, so wie es nun existiert (a priori), die Bedeutsamkeit von Diskursen, in diesem Fall von Kunst, markiert. Dies wird gesprächsweise auch häufig in Bezug auf ihre völlige Unwirksamkeit gedeutet, wenn ihr, falls sie sich politisch äußert, nicht außerdem noch naive Lächerlichkeit und Unnötigkeit attestiert wird, angesichts des Einbruchs des „Realen.“ Von dem erstaunlicherweise behauptet wird, dass es sich auf Seiten des Kriegs befindet. Dabei ist es genau umgekehrt und die Kunst eine der belastbaren Verankerungen des Denkens in der Wirklichkeit, oder jedenfalls eine Erinnerung an eine Welt, die in der selben Sprache spricht wie man selbst.

7 rue des Grands Augustins is the address of the house where Guernica was painted. Guernica is considered a - possibly the - painting that explores the efficacy of art as a political influence, as a historical episteme, meaning that it marks a priori the meaningfulness of discourses, in this case art. Conversationally, this is also often interpreted in terms of its utter ineffectiveness, if not the naïve ridiculousness of its political attempts altogether, in the face of the claimed intrusion of the “real." Which, astonishingly, is said to be on the side of war. Yet, conversely, it is one of the resilient anchors in reality, or at any rate a reminder of a world that speaks your language, too.

Der Jugoslawienkrieg näherte sich, als wir – damals Herausgeberinnen einer kleinen Kunstzeitschrift in Wien – gebeten wurden, Texte zu publizieren, in denen Waffenlieferungen gefordert wurden. Es waren Briefe und Texte, die uns zunächst aus Slowenien erreichten, dann bald darauf auch aus Kroatien. Die grundlegende Argumentation, entlang derer sie geschrieben waren, war die einer Neubewertung des Begriffs Nationalismus. Das Ziel war, einen darin argumentierten „guten“ Nationalismus in Betracht zu ziehen, und damit in Erwägung zu ziehen, dass man sagen konnte: „I just love Croatia.“

Die Analogie, die damals in diesen Texten aufgemacht wurde, so wie ich nun in diesem Text eine zum Jugoslawienkrieg aufmache, war die zum spanischen Bürgerkrieg, oder um ihn präziser zu benennen, dem Überfall der frankistischen Truppen auf die spanische Republik. Spanien war, so erklärte es einer dieser Texte und ich habe nie nachgesehen, ob es stimmte, Spanien war von Seiten des Völkerbunds unter ein Waffenembargo gestellt worden.

Slowenien erhielt nicht die notwendigen Waffen gegen die einrückenden serbischen Panzer. „Wir werden gefesselt zur Schlachtbank geführt“.

Die von uns geforderte Positionierung war nichts, was uns leicht fiel, denn Publizieren ist mehr als eine Meinung zu haben. In einer gewissen Weise hätte es den Kriegseintritt bedeutet, das heißt, das Eintreten in eine Kriegslogik, abseits von einem bloßen Parteiergreifen. Insgesamt war die befreundete mediale Öffentlichkeit in Wien sehr zögerlich, sich zu dem Krieg zu äußern. Der Bruch, den der Jugoslawienkrieg in einer Generation auslöste, in der jeglicher Krieg als historische Verirrung in eine zerstörerische reine Wirtschaftslogik gelesen wurde, war eventuell größer als heute. Krieg war die Blödheit, die von industriell militärischen Männerbünden durchgesetzt wurde, wenn der Wertverlust des Gelds drohte. Dem stand die jugoslawische intellektuelle Diaspora gegenüber, die genauso wie die anderen hunderttausende ihrer Landsleute geflohen waren, viele nach Wien oder Budapest, und dort über die Kriegsziele publizieren wollten. Das Geschehen hatte etwas bösartig Konfuses und wir wussten noch nicht, dass dies immer so ist, so sein muss, weil diese Verunsicherung, der Druck sich in ein Freund-Feind System zu begeben, sowie jener spezifische Stress, der durch die durch den Krieg ausgesprochenen Todesdrohung über allem liegt, die Grundlage des kriegerischen Denkens bildet. In Deutschland gab es offensichtlich noch weniger Wunsch sich zu positionieren. Auf unsere Anfrage nach „wie vorgehen?“ an befreundete Blätter kam ein höfliches Achselzucken. Das änderte sich erst fünf Jahre später angesichts des Nato Bombardements von Belgrad und anderer serbischer Städte und damit des Kriegseintritts Deutschlands.

Aber eine Verantwortung gegenüber der Freiheit des eigenen Denkens hielt uns vor der Aporie zurück und vom einfachen Weitermachen ab. Und da es möglich war, da Züge fuhren, wurde uns über die Monate klar, dass wir hinfahren mussten, bevor wir uns zu diesem Krieg hätten äußern können. Wir fuhren in das von Bomben zerstörte Zagreb, zur Zeit der kroatischen Mobilmachung, nach dem Massaker von Vukovar. Der Krieg hatte seine grausigsten Phasen noch vor sich, Srebrenica, Bosnien. Das konnten wir nicht wissen. Zagreb war zwar in Ruinen und voller Flüchtlinge aus dem belagerten Sarajevo, mit einer Währung deren Geldscheine fabelhafte Millionenwerte anzeigte mit Wolken von kleinen Noten die der Wind durch die Straßen wehte. Aber Bars und Cafés waren voll und es wirkte durch die Stationierung der UN-Truppen relativ stabil. Wir hatten eine Reihe an Terminen, mit Kunstinstitutionen, Zeitschriften, Hilfsorganisationen, KünstlerInnen. In den Zügen saßen die Soldaten der UNPROFOR Truppen, die die Wochenenden für einen Urlaub in den Clubs in Wien verbrachten.

Krieg durchzieht einen; greift sich den nächstbesten und versucht ihn oder sie zum Kriegsteilnehmer zu machen. Ich erinnere mich, dass nach einem der vielen Gespräche in Zagreb, bei denen wir uns vorgenommen hatten, nur zuzuhören und eine Meinung weder zu äußern noch zu haben, die Aggression zwischen uns so hoch war, dass sich R. mitten im Satz auf der Straße umdrehte und L. ins Gesicht schlug (und wir waren ja nur drei). Aber, und möglicherweise in diesem Moment hatten wir auch erkannt, dass nichts davon wir selbst waren, dass wir im Begriff standen uns in eigenartige hybride Aliens umzuformen als eine Art Robocops- oder eher noch Robo-Militia, Mischwesen aus Kriegslogiken und zivilen Fassaden in denen, niedergemetzelt vom Pathos des Falschen, nur noch in einem kleinen Teil des Gehirns das frühere Ich verborgen lag.

Als die US Streitkräfte in den Irak einmarschierten, arbeitete ich für die UNO, zu diesem Zeitpunkt im UN-Hauptquartier in Nairobi. Sie, in diesem Fall ein anderes wir, die Vereinten Nationen, eröffnete – und ich bin mir sicher, es war am selben Tag – eine Ausstellung der Projekte, die sich aus dem Food for Oil Programm entwickelt hatten. Was war am Verwirrendsten? Der Delegierte des Iraks in seinem hellgrauen Anzug, dessen Land sich eben auflöste? Dass es der spanische Botschafter war, der die Ausstellung eröffnete, während die Flugzeuge eben irakische Städte, die nicht Guernica hiessen, planierten? Wir, die ja da waren, weil diese Projekte von unseren Zusammenarbeitsbudgets gezahlt worden waren und nun wussten, dass alles, was da in druckfrischen Broschüren vor uns lag, eben in Schutt gelegt wurde? Was davon könnte jemals ein konzises Bild ergeben.

Dieser Wahnsinn ist hundertmal beschrieben worden, aber dann eben auch: all dies Geschriebene wird nicht wirkungsmächtig, denn Teil der Irrationalität ist auch die Behauptung unser heutiger Zustand wäre eine Ausnahme, und benötige als Ausnahmezustand ein neues Denken. Darin liegt zum Beispiel das völlige Vergessen dieser Kriege von denen ich schreibe. In Wirklichkeit hat sich nichts verschoben, und die alten Antworten der vielen Menschen, die aus der Analyse des Erlebten geschrieben haben, sind so richtig, wie die Frage an sich falsch.

Ariane Müller 7 rue des Grands Augustins

The war in Yugoslavia drew nearer when letters started to arrive at the small art magazine that we were running at that time, asking us to publish enclosed texts which were petitions for arm deliveries. These letters and texts reached us first from Slovenia, soon later from Croatia. The basic argument along which they were written was that of a re-evaluation of the concept of nationalism. The goal was to establish a so called "good" nationalism, and thus to consider the possibility to say "I just love Croatia."

The analogy that was made in these texts at that time, just as I am now making one in this text to the Yugoslavian war, was to the Spanish Civil War, or to name it more precisely, the invasion of the Spanish Republic by the Francoist troops. Spain, one of those texts explained, and I never looked it up to see if it was true, had been placed under an arms embargo by the League of Nations.

Slovenia was not given the necessary weapons against the invading Serbian tanks. "We are led to the slaughterhouse with our hands bound!”

The positioning that was demanded from us was not something that we could do easily. Publishing is more than having an opinion. In a way, it would have meant to enter the war, entering a logic and a language of war, not only taking a side. On the whole, our publishing friends in the leftist media in Vienna were reluctant to comment on the war. Maybe the rupture caused by the Yugoslavian war was greater than it is today, in a generation in which any war was read as a historical aberration into a purely economic logic. War was thought of as stupidity imposed by military-industrial male interest groups if too many people became too wealthy, therefore money became too cheap, and had to be destroyed.

This knowledge was confronted by the Yugoslavian intellectual diaspora, who, like other hundreds of thousands of their compatriots, had fled, many to Vienna or Budapest, who wanted to write and publish why they were fighting this war. There was something viciously confusing about what was happening, and we did not yet know that this is always so, must be so, because this uncertainty, the pressure to enter into a friend-foe system, as well as that specific stress which permeates everything because of the death threat: implied by war, forms the basis of warlike thinking.

In Germany, there was obviously even less desire to position oneself. Our request to befriended magazines, "how to proceed?", was met with a polite shrug. Five years later, in view of the NATO bombardment of Belgrade and other Serbian cities, and thus Germany's entry into the war, this eventually changed.

But a responsibility towards the freedom of ones’ thinking kept us from aporia, or from simply carrying on. And since it was possible, and trains were running, we realized after a while that we had to go there before we could speak about this war. We went to Zagreb at the time of the Croatian mobilization, after the massacre of Vukovar. The war still had its most gruesome phases ahead of it, Srebrenica, Bosnia, but that was impossible to foresee. The bombarded Zagreb was in ruins and full of refugees from besieged Sarajevo, with a currency whose bills showed fabulous values in the millions, while clouds of small notes were blown through the streets by the wind. But bars and cafes were full and the daily life seemed relatively stable due to the stationing of UN troops. We had a series of appointments with art institutions, magazines, aid organizations, artists. Trains were full with UNPROFOR soldiers, who spent the weekends vacationing in the clubs of Vienna.

War pervades one, grabs the next best person and tries to make him or her a participant. I remember that after one of the many conversations in Zagreb, where we had decided only to listen and not to have or express an opinion, the aggression between us was so high that R. turned around in the street mid-sentence and slapped L. in the face (and we were only three). But, and possibly at that moment, we also realized that none of this was us, that we were about to transform into strange hybrid aliens, a kind of Robocops or Robo-Militia, mixed beings armed to the teeth in which only morsels of a the former self were hidden.

When the US forces invaded Iraq, I was working for the UN, at that time at the UN headquarters in Nairobi. We, the UN, another we this time, opened - and I'm sure it was on the same day - an exhibition of the projects that were part of the Food for Oil program. What was the most confusing? The delegate from Iraq in his light gray suit, whose job was dissolving just like his country? The Spanish ambassador who opened the exhibition while planes were leveling Iraqi cities not named Guernica? We, who were there because these projects had been paid for by our cooperation budgets, knowing that everything that lay before us in glossy brochures was just being reduced to rubble? How could one ever make sense out of this.

This madness has been described a hundred times, but then also: all this writing does not become effective, because part of the irrationality is also the assertion that what is happening now forms an exception, is the state of emergency that needs this other thinking. Therein lies a complete brainwash concerning the wars of which I write. In reality there is no difference and the old answers of the many people who have written from analyzed experience are just as right as the question itself is wrong.

Ariane Müller 7 rue des Grands Augustins